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Das Gespräch

Meine tiefsten Gefühle, dunkelsten Gedanken und den Shit, den ich eigentlich ins Grab mitnehmen wollte. Meine wundesten Stellen und schlimmsten Narben. Meine stärksten Gefühle und mein Wunsch nach liebevoller Zuneigung. Alles das werde ich ihm erzählen.

Ich stehe innerlich zitternd auf, ohne meine Fassade fallen zu lassen und gehe zu ihm rüber. Nach einer Höflichkeitsminute unauffällig hinter ihm zu stehen, tippe ich ihm vorsichtig auf die Schulter und Frage nach unserem geplanten Gespräch. Er willigt ein und verabschiedet sich von der Runde.

Wir gehen also ein Stück von der Menge weg. Der Smalltalk setzt die Stimmung. Sie fühlt sich falsch an.

Jetzt wollte ich mich eigentlich voll öffnen. Aber ich muss zögern. Etwas fühlt sich nicht richtig an. Trotzdem versuche ich, etwas von mir Preis zu geben.

Je weiter ich mich ihm gegenüber öffne, desto weniger richtig fühlt es sich an. Seine Fragen sind oberflächlich und unpersönlich. Er interessiert sich für meine Worte, jedoch nicht für mich. Mein innerliches Zittern ist mittlerweile ein bitter bebendes Schreien geworden.

Ich fühle mich sehr schlecht. Eigentlich mag ich ihn und habe ihm vertraut, doch jeder Satz, den ich ihm erzähle, zerschmettert dieses Vertrauen zu immer feineren Scherben.

Mein Selbstschutz setzt ein. Ich einige mich darauf, ihm nur noch Teile der Wahrheit zu erzählen. In mir baut sich eine massive Mauer auf, die all die dunklen Geheimnisse und vor allem meine Gefühle schützt. Je länger das Gespräch geht, desto solider wird diese Mauer.

Also ergreife ich die erste Gelegenheit, um das Gespräch zu beenden. Wir gehen zu den Anderen zurück.

Es hat sich zwischen uns einiges verändert. Ich traue ihm keinen Meter mehr, denn er hat meine Gefühle verletzt.

Veröffentlicht am: 29.09.2023 von Johannes Roß

Freitagabends

Was mache ich Freitagabends, wenn Montagmorgen die Prüfung ansteht, auf die ich nicht gelernt habe? Richtig, ich gehe in Club. Nach einer Telefonkonferenz mit meinen Freunden, die zum Großteil daraus besteht, ihnen zu erklären, was ich mit „Heute Abend Club?“ meine, steht fest: wir gehen ins „Boijoijoing“. (Ich werde noch nichts gesponsort, deshalb der Platzhalter.) Auch steht fest: eine Flasche Wein zum Vorglühen von neun Leuten. Ich muss auslegen (natürlich).

Bevor ich in den Club gehe, muss ich mehrere Entscheidungen treffen: 1. Ist es heute Abend okay, wenn jemand erwähnt, dass mein Vater Pfarrer ist? (In Katholischen Clubs eher uncool) 2. Bin ich bereit den Tag morgen zu opfern? Mein Kater schaut mich an. Ich schau ihn an. 3. Wie viel Aufmerksamkeit möchte ich haben? Auf einer Skala von Verheiratet und glücklich bis Single und frustriert. Ich entscheide mich für ein bisschen über der Mitte. Single und schon seit Jahren auf der Suche.

Pride Cap aufm Kopf und Rotes Oberteil an treffe ich mich mit meinen Freunden an dem abgemachten Treffpunkt. Alles ist normal. Jessy findet den Weg nicht und muss anrufen. Becca ist am falschen Treffpunkt und Friedolin kommt unangekündigt 30 Minuten zu spät. Alle versammelt packe ich die besprochene Weinflasche aus. Mit den Worten „Nur ein Schwein trinkt allein“ packt Franz eine weitere Flasche aus. Während Jina ihren Mantel auf reist um zwei weitere Weinflaschen zu entblößen wirft Erna „Ach, ich dachte ich muss die mitbringen“ ein und folgt die Aussage mit dem gleichzeitig enttäuschenden und erleichternden Satz: „Puh, hatte sie vergessen“.

Nach einem gemäßigten Vortrinken von vier Flaschen für neuen Leute beginnt der Abend schonmal auf der Überholspur. Mein Kater und ich tun mir leid, denn einer von uns beiden muss morgen vermutlich die Kotze vom anderen wegwischen. Nach einem Ausnüchterungsumweg fragt mich der Türsteher, ob ich allein bin. Ich zeige mit geöffneten Armen auf unsere überwiegend weibliche Freundesgruppe und sage in göttlicher Manier: „Wir kommen allein“. Der Türsteher lässt uns Wortlos weiter und wieder einmal erlebe ich die Privilegien von jungen Frauen, die einfach in alle Clubs kommen.

Im Club steht die nächste Entscheidung vor mir: mach ich mir einen schönen Abend oder helfe ich die Desaster meiner Freunde zu retten. Ich entscheide mich für das einzig sinnvolle: bis 1 Uhr bin ich Feuerwehrmann, danach Brandstifter. Mein erster Einsatz startet direkt an der Bar. Mina verteilt mehr Shots als alte reiche Herren in einer Gay Bar und muss daran erinnert werden, dass ihr Finanzieller Status genauso hoffnungslos wie mein Liebesleben ist. Franz muss fünf Minuten vor Ende meiner Schicht von der Tanzfläche gezogen werden, weil er 1. Auch mit 2 Promille nicht tanzen kann und 2. Schon wieder mit jemandem rummacht, die aussieht, als könnte Sie in Marvel Filmen ein Bösewicht sein.

Schichtende. Zeit mir etwas mehr freien Lauf zu lassen. Innerhalb von drei Stunden wurden mir drei Gin-Tonic und 2 Pfeffi-Shots ausgegeben. Mein Abend endet mal wieder damit, dass Bianca mich zum zweiten Mal an der Treppe nach draußen abfängt und mir ins Ohr flüstert: „Der ist nicht dein Typ“.

Am nächsten Morgen schaut mich mein Kater an, kotzt ins Klo und mauzt bis ich merke: „Kein Katzenfutter mehr“.

Veröffentlicht am: 06.02.2023 von Johannes Roß

Aufgewacht

Es ist kalt. Ich liege auf dem stählernen Boden. Ich zwinge mich meine Augen zu öffnen. Alles ist verschlossen. Die Kälte beißt meine Hände, als ich mich hochdrücke. Ich ziehe die Kleider an, welche unter meinem Krio platziert wurden. Mit jedem Kleidungsstück fühle ich mich wohler, doch mein Kopf dröhnt weiter wie ein altes Schiffshorn. Schritt für Schritt schleife ich mich Richtung Türe. Klopf, Klopf. Stille. Klopf, Klopf. Das Donnern wird nur in meinem Kopf gehört. Klopf, Klopf, Klopf. Ruhe.

Ich drehe mich zu den anderen Krios. Geschälte Haut. Leere Augenhöhlen oder abgefallene Glieder. Ich prüfe jeden einzelnen Krio. Ich atme tief durch und mache einen Schritt zurück Richtung Türe. Plötzlich lassen meine Beine nach. Ich stürze und werde zum Embryo. Tränen, die auf Stahl landen, begleitet von Schluchzen ist lange das Einzige was ich höre.

Ich richte mich wieder auf, ziehe meine Schultern hoch, Blick auf den Boden, Richtung Türe. Jeder Schritt wird schneller. Ich krache durch die Türe. Adrenalin gibt mir warm. Ich scanne jede Richtung nach Anzeichen anderer Menschen. Keiner empfängt mich. Ich stolpere die Gänge runter, auf der Suche nach Sonnenlicht. Vorbei an leeren Laboren, einer zerschlagenen Toilette und einer Mensa mit mehr Chaos als Sitzgelegenheiten. Am Ende des Ganges erreiche ich einen Notausgang. Ich atme erneut tief durch.

Mit Gewalt lässt sich die Türe aufpressen. Efeu reißt. Ein Lichtschein trifft mich. Der Vollmond bräunt meine Haut. Ich trete auf den Karlsplatz. Ich sehe keine Lichter in den Fenstern. Ich sehe eingeschlagene Scheiben und ein offenes Fenster im fünften Stock. Unter dem Fenster liegt ein Mann. Er ist auf dem Pflasterstein zerschellt. Ich muss mich wieder fangen. Gerade aus links muss eine Apotheke sein. Mein Kopf verlangt danach.

Bei der Apotheke angekommen finde ich eine eingeschlagene Türe und eine umgefallene Stehlampe, die nicht aufgeben möchte. Ich suche mir einen Weg durch die Scherben und durchforste die leeren Regale nach Schmerztabletten. Auch die Kasse ist aufgebrochen, doch Geld fehlt nicht. Fündig werde ich lange nicht. Hinter der Theke werde ich endlich fündig. Das Ablaufdatum scheint mir keine Antworten zum aktuellen Jahr geben zu können. Ich mache mich auf zur alten Konserven Fabrik.

Erschöpft, aber mit weniger dröhnendem Kopf komme ich bei der Fabrik an. Vor dem Tor sitzen zwei Frauen und spielen Karten. Als ich herbeischleppe tippen die Größere die Kleine an. „STOP“ wird in meine Richtung gebrüllt. Die Kleine rennt rein, während die große ein Gasmaske vom Boden neben sich aufzieht. „Welches Jahr haben wir?“ antworte ich, während ich weiter zögernd auf die große Frau zugehe. „STOP HAB ICH GESAGT“ schreit sie mich an und hebt ein metallenes Rohr drohend hoch. Ich bleibe stehen. Ein Bimmeln gefolgt von einem blendenden Scheinwerfer bringt mich zum Stehen. „Welches Jahr haben wir?“

Veröffentlicht am: 26.01.2023 von Johannes Roß